Im Interview mit Daniel Graf in der Republik spricht die Philosophin Rahel Jaeggi über Fortschritt. Ausgewählte Zitate von Rahel Jaeggi: «Wir sollten Fortschritt nicht mit Blick auf ein bestimmtes Ziel, sondern als einen Lern- und Erfahrungsprozess beschreiben. Noch genauer: als einen sich anreichernden Erfahrungsprozess.» «In der Alltagsvorstellung ist Fortschritt in der Regel mit einem konkreten Ziel verbunden: Man müsse ja genau wissen, wohin, so wie man beim Bergsteigen immer den Gipfelpunkt vor Augen hat. Mein Ansatz hingegen ist es, zu sagen, wir sollten Fortschritt nicht als Fortschritt «hin zu» einem bestimmten Ziel denken, sondern als Fortschritt «weg von» einem bestimmten Problem oder Missstand.» «Fortschritt ist so etwas wie eine kompetentere Form der Problemlösung. Die gesellschaftlichen Lern- und Erfahrungsprozesse werden hervorgerufen von Problemen und Krisen. Gesellschaften sind permanent damit beschäftigt, Probleme zu lösen. Und die Krisen, in die sie geraten, zeichnen sich dadurch aus, dass die gewohnten Problem-lösungsmechanismen nicht mehr greifen, sondern man den Rahmen überdenken muss, in dem man diese Probleme löst. Es geht also um die Bewältigung von Krisen, die die Gesellschaft selbst erzeugt hat. Das geht nur durch einen Lernprozess, der sich ständig mit Erfahrungen anreichert und die eigene Reflexivität erweitert.» «Wenn wir von Fortschritt reden, sprechen wir eben nicht nur davon, wie etwas sein soll. Wir müssen uns das Moment dieses Fort-Schreitens, des Wandels selber, anschauen und fragen, wie dieser Prozess funktioniert. Natürlich könnte man sagen: Ich weiss, was das Ziel ist, und jetzt geht es darum, das Engagement, den Mut, den Verstand aufzubringen, Dinge beim Namen zu nennen und zu verändern. Genau das braucht es auch. Aber viele glauben, man muss halt irgendwie an dieses Ziel kommen und der Weg dorthin fügt dem gewissermassen nichts hinzu. In meiner Konzeption kommt auf dem Weg aber sehr viel hinzu.» "Meine vegetarisch-veganen Freundinnen würden wahrscheinlich sagen: Der Umstand, dass du jetzt immer noch so glücklich dein Steak auf dem Teller hast, wird dir wahrscheinlich noch in deiner Lebenszeit einmal ein ähnliches Gefühl bereiten [Fleisch essen als skandalöse, unverständliche Praxis]. Das ist tatsächlich eine Frage, die ich mir manchmal stelle. Werde ich mich in zehn Jahren fragen: Wie konntest du das noch so lange machen? Ich glaube, unser Umgang mit der Natur wird sich ändern müssen. So, dass uns die heutige Vernutzung und Überausbeutung hoffentlich irgendwann nicht nur als dysfunktional, sondern auch als falsch erscheinen wird, ohne dass wir dabei in eine romantische Wiederverzauberung der Natur zurückfallen." Quelle: https://www.republik.ch/2024/01/02/im-namen-des-fortschritts-sind-fuerchterliche-dinge-angerichtet-worden
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AutorMarkus Schärli / Präsident Verein Rechtsperson Reuss Archiv
November 2024
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